Gezieltes Cybermobbing nimmt zu – Wenn das Smartphone zur Tatwaffe wird

Gezieltes Cybermobbing nimmt zu – wenn das Smartphone zur Tatwaffe wird

Neben Hassreden gegen bestimmte Gruppierungen, nimmt ein anderes Phänomen des Cybermobbings im Netz aktuell enorm zu: Hetzkampagnen, die sich gezielt gegen einzelne Personen richten. Die betroffenen Personen werden von teilweise tausenden Usern so in die Enge getrieben, dass es im Extremfall zum Suizid kommen kann.

Was steckt hinter der Form der Hetzkampagnen?

Die Ermittler der niedersächsischen Zentralstelle gegen Hasskriminalität beschäftigten sich bislang hauptsächlich mit strafbaren Äußerungen, die sich vorwiegend gegen bestimmte soziale oder berufliche Gruppierungen richten. Für große Besorgnis sorgt jedoch auch eine andere Form der Hetzkampagnen im Netz, die immer stärker zunimmt: der gezielte Hass im Internet, der sich gegen Einzelpersonen in den sozialen Netzwerken richtet. Die betroffenen User teilen ihre Fotos und Videos bedenkenlos auf den Plattformen, ohne, dass sie ahnen, welche Folgen daraus resultieren können. Das bekannteste Beispiel für diese Art des Cybermobbings ist wohl der Fall des „Drachenlords“. Rainer W., der Tanzvideos und zum Teil derbe Aussagen auf Videoplattformen teilte, erlangte traurige Berühmtheit. Eine gewisse Nutzerszene hat es sich zur Aufgabe gemacht, die sozialen Medien nach Fotos, Videos und Beiträgen zu durchforsten, die sie für vermeintlich peinlich halten. Der entsprechende Nutzer wird anschließend zum Opfer erklärt und massiv gemobbt und gestalkt. So auch im Fall von Rainer W., welcher beleidigende Kommentare zu seinen Videos erhielt. Am Fall „Drachenlord“ zeigt sich auch das Ausmaß, das Hetzkampagnen im Internet annehmen können. Denn das Mobbing beschränkte sich bei Weitem nicht nur auf Beleidigungen im Netz – auch im realen Leben geriet die Situation außer Kontrolle. Rainer W. wurde von der Nutzergemeinde verfolgt, beleidigt, gestalkt, gefilmt und anschließend im Netz hochgeladen. Der traurige Höhepunkt wurde im Sommer 2018 erreicht, als sich rund 800 Personen vor dem Haus des „Drachenlords“ versammelten. Obwohl es sich um den wahrscheinlich bekanntesten Fall dieser Art von Cybermobbing handelt, ist es keinesfalls ein Einzelfall, wie auch die Göttinger Staatsanwältin Svenja Meininghaus weiß:

„Wir beobachten dieses Phänomen verstärkt seit etwa einem Jahr. Häufig sprechen sich diese Personen in Telegram-Gruppen ab, wen sie als Nächstes ins Visier nehmen wollen.“

Wie entstehen die gezielten Hetzkampagnen?

Nutzer, die entsprechendes Cybermobbing betreiben und vorantreiben, werden als Trolle bezeichnet. Oftmals haben sie Social-Media-User im Visier, die sich auf Plattformen wie TikTok, Instagram oder YouTube als Influencer versuchen wollen – das ganze jedoch bisher nicht so professionell angehen wie große Influencer. Meist ist der erste Schritt der Trolle Livestreams der ins Visier geratenen Nutzer beizutreten und dort beleidigende Kommentare zu verfassen. Das Ziel hinter dem öffentlichen Provozieren und Beleidigen: eine Reaktion des Users hervorzurufen. Reagiert die Person, wird das Spiel, das als „Lolcow“ bezeichnet wird, immer weitergetrieben. Unter „Lolcow“ ist im übertragenen Sinn „Gemolken für Lachen“ (auf Englisch: „milked for laughs“) gemeint. Aus dem Cybermobbingbetroffenen werden immer wieder neue Reaktionen hervorgerufen, über die sich dann wieder amüsiert wird. Und auch in anderen Fällen versammeln sich schnell sehr viele Kommentare von Usern unter den Mobbing-Kommentaren, die das Verhalten gutheißen. Die Mobber gehen dabei so weit, dass sogar falsche Notrufe abgesetzt werden, um der Person zu schaden. Dieses Vorgehen wird als Swatting bezeichnet und ist auch als eine Form des Cybermobbings zu werten. Ziel der Trolle ist es, das Ganze zur Eskalation zu treiben. Im Fall des „Drachenlords“ führte das „Lolcow“ so weit, dass sich dieser selbst wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht verantworten musste und ihm sogar eine Gefängnisstrafe drohte.

Welche Auswirkungen kann Cybermobbing auf Betroffene haben?

Die Täter haben laut Staatsanwältin Meininghaus teilweise sogar sadistische Züge. Ihr Ziel ist es, für sie im realen Leben völlig fremde Menschen in die Verzweiflung und im Extremfall sogar in den Tod zu treiben. Für die Betroffenen beginnt oftmals eine Endlosschleife, die unkontrollierbar wird. Die Folgen, mit denen die Personen zu kämpfen haben, sind äußerst vielfältig und hängen individuell von der Persönlichkeit des betroffenen Nutzers ab. Sie können verheerend sein und reichen von sozialem Rückzug und Isolation über körperlichen Stress-Symptomen bis hin zu psychischen Störungen und depressiven Zuständen. Im Extremfall wollen die Hater die Betroffenen in den Suizid treiben (Telefonseelsorge: 0800 1110111).

Was kann gegen das kollektive Cybermobbing unternommen werden?

Gegen die Form des Cybermobbings vorzugehen, gestaltet sich äußerst schwierig. Meist wird eine Vielzahl von Straftatbeständen bei diesen kollektiven Hetzjagden erfüllt. Hierzu zählen insbesondere:

  • Beleidigung
  • Gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten
  • Gemeinschaftliche Nachstellung (Stalking)
  • Missbrauch von Notrufen
  • Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten
  • Üble Nachrede
  • Verleumdung
  • Versuchte schwere Erpressung

Das große Problem dahinter: all diese Straftatbestände werden in ihrer Einzelheit mehrheitlich nur als Bagatelldelikte eingestuft. Das massive Ausmaß und die zerstörerische Kraft wird erst durch das kollektive Vorgehen der User-Szene – die zum Teil aus mehreren tausenden Personen besteht – ausgelöst. Bisher gestaltet es sich nach Angaben der Staatsanwältin daher als äußerst schwierig, wirklich gegen diese Form des Cybermobbings vorzugehen: „Wir betreten hier rechtliches Neuland. Dieses Phänomen hat bislang noch keinen Eingang in das Strafgesetzbuch gefunden.“ Erst seit drei Jahren gibt es überhaupt ein neues Gesetz zum besseren Schutz vor Beleidigungen und Drohungen im Netz. Erweitert wurde dieses im letzten Jahr dahin gehend, dass die sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter, Instagram und Co. mittlerweile dazu verpflichtet sind, bestimmte Inhalte dem Bundeskriminalamt zu melden. Dazu zählen unter anderem Mordandrohungen, Neonazi-Propaganda sowie Volksverhetzung. Dieses Gesetz sieht außerdem vor, dass üble Nachrede und Verleumdung mit Freiheitsstrafen bestraft werden können. Allerdings gilt dies bislang nur für Personen des politischen Lebens und damit nicht für alle Nutzer von Social-Media-Plattformen. Die aktuelle Entwicklung ist besorgniserregend und zeigt einmal mehr, dass in puncto Internetkriminalität noch einige Gesetzeslücken geschlossen werden müssen.

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