Internet-by-Call – als Surfen noch minutenweise abgerechnet wurde

Geschichte Internet-by-Call

Heute sind Flatrates über DSL, Glasfaser oder Mobilfunk selbstverständlich. Doch in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren war Internet-by-Call für viele die wichtigste Möglichkeit, ins Netz zu gelangen. Flatrates gab es damals kaum – und wenn, waren sie für Privatnutzer nahezu unbezahlbar. Stattdessen wurde der Internetzugang minutenweise abgerechnet, teils zusätzlich mit einer Einwahlgebühr. Die Abrechnung lief in der Regel bequem über die monatliche Telekom-Telefonrechnung.

Wie funktionierte Internet-by-Call?

Der Zugang erfolgte über die klassische Telefonleitung mittels Modem oder ISDN. Statt eines festen Vertrags mit monatlichen Gebühren wählte sich der Computer über eine spezielle Einwahlnummer ins Internet ein. Jede Online-Minute wurde direkt über die Telefonrechnung abgerechnet.
Typisch war die Verbindung über ein 56-k-Modem oder – für Schnellere – über ISDN-Kanäle. Das dazugehörige Einwahlgeräusch, ein Mix aus Piepen, Rauschen und Knacken, wurde für eine ganze Generation zum Sound des Internets.

Vorteile

  • Keine Vertragsbindung: Nutzer konnten jederzeit den Anbieter wechseln, einfach durch Eingabe einer neuen Rufnummer.
  • Niedrige Einstiegshürde: Ideal für Gelegenheitsnutzer, die nur sporadisch ins Netz wollten.
  • Schnelle Verfügbarkeit: Jeder mit einem Telefonanschluss konnte sofort loslegen.

Nachteile

  • Hohe Kosten: Wer länger online blieb, riskierte dreistellige Rechnungen.
  • Langsame Geschwindigkeit: Mit 56 kbit/s waren Webseiten oft eine Geduldsprobe.
  • Blockierte Leitung: Während des Surfens war die Telefonleitung meist belegt – außer bei ISDN.

Betrügerische Preispolitik

Ein großes Problem waren plötzliche Tariferhöhungen. Manche Anbieter vervielfachten von einem Tag auf den anderen ihre Minutenpreise, ohne die Kunden informieren zu müssen – schließlich war keine Registrierung notwendig. Für viele kam die böse Überraschung mit der nächsten Rechnung: Aus vermeintlich günstigen Angeboten wurden Kostenfallen mit mehreren hundert Euro.

Gerichte mussten sich immer wieder mit der Praxis beschäftigen. So stufte das Oberlandesgericht Saarbrücken das Vorgehen eines Anbieters als Wucher ein.

Beliebtheit und Verbreitung

Zwischen 1997 und 2003 erlebte Internet-by-Call seine Hochphase. Große Anbieter wie AOL, T-Online, Arcor oder Freenet wetteiferten mit Lockangeboten wie „Surfen ab 0,01 Cent pro Minute“. Viele Nutzer sammelten Listen mit Einwahlnummern, die sich ständig änderten. Sogar eigene Vergleichsportale entstanden, um die günstigsten Tarife zu finden. Auch der Telespiegel bot diverse Jahre dazu eine Tarifdatenbank an, die am 31. Mai 2017 eingestellt wurde.

Das Ende von Internet-by-Call

Mit der Einführung von DSL-Flatrates ab Mitte der 2000er-Jahre war die Ära des Minuten-Internets schnell vorbei. Höhere Geschwindigkeiten und Pauschaltarife machten das Modell unattraktiv. Anfang 2023 verschwand das letzte Angebot vom Markt.

Was bleibt, ist die Erinnerung: an piepende Modems, blockierte Telefonleitungen und die ständige Sorge um die nächste Rechnung – eine Zeit, in der das Internet noch kostbare Minuten bedeutete.

Zeitgeschichtlicher Abriss – Die Geschichte von Internet-by-Call

PhaseBeschreibung
Frühe 1990erAnfänge der Einwahl: Erste Zugänge zu Diensten wie CompuServe oder Mailboxen über Telefonleitungen – die Grundsteine für den Internetzugriff zuhause.
Mitte 1990erKommerzialisierung: Anbieter wie T-Online, AOL, Freenet und Arcor starten. Internet‑by‑Call boomt – Vertragsbindung fällt weg, Einwahl per Nummer genügt.
Ende 1990erTarifschlacht & AOL‑Boom: Mit den massenhaft verteilten AOL‑CDs und günstigen Nacht‑Tarifen beginnt die große Nutzerwelle. Webseiten bleiben schlank, Ladezeiten akzeptabel.
Frühe 2000erAlltag mit Einschränkungen: 56 kbit/s‑Modems und ISDN sind Standard. Telefonleitungen sind blockiert, paralleles Telefonieren oft unmöglich, Sicherheit gefährdet bei hoher Nutzung.
Ab 2003DSL und Flatrates verdrängen das Modell: Das Angebot wird schneller und günstiger, sodass minutengenaue Abrechnung an Relevanz verliert.
EndeNischenlose im ländlichen Raum: Internet‑by‑Call existierte bis 2023 noch punktuell dort, wo moderne Breitbandanschlüsse fehlten. Für viele bleibt es nostalgische Erinnerung.