
Darf ein Streamingdienst in einem laufenden Abo plötzlich Werbung einblenden – und das als bloße „Änderung“ per Kundenmail ankündigen? Nach einem Urteil des Landgerichts München I lautet die Antwort: so nicht. In einem Verfahren des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) gegen die Amazon Digital Germany GmbH hat die 33. Zivilkammer Amazon untersagt, Prime-Mitgliedern eine Werbeumstellung bei Prime Video in der beanstandeten Form mitzuteilen. Das Urteil wurde am 16. Dezember 2025 verkündet (Az. 33 O 3266/24).
Im Kern geht es um eine E-Mail, die Amazon am 3. Januar 2024 an Prime-Mitglieder verschickte. Darin hieß es, ab dem 5. Februar 2024 würden Titel bei Prime Video „in begrenztem Umfang Werbung enthalten“. Gleichzeitig beruhigte der Konzern: „Für dich besteht kein Handlungsbedarf.“ Wer weiter ohne Werbung schauen wolle, könne sich für eine „werbefreie Option“ anmelden – für 2,99 Euro pro Monat.
Irreführend, weil es wie eine zustimmungsfreie Vertragsänderung wirkt
Genau diese Kombination brachte Amazon vor Gericht in Schwierigkeiten. Das Landgericht wertete die Mail als irreführende geschäftliche Handlung nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Aus Sicht der Kammer versteht ein durchschnittlicher Prime-Kunde die Nachricht so, dass die Werbeeinblendungen automatisch kommen – ohne dass es einer Zustimmung bedarf. Schon Betreff und Hervorhebungen („Änderung zu Prime Video“) seien eindeutig, zudem setze der Satz „kein Handlungsbedarf“ ein klares Signal: Der Kunde müsse nichts entscheiden, die Umstellung werde einfach umgesetzt.
Damit, so das Gericht, entstehe ein Eindruck, der nicht mit den tatsächlichen vertraglichen Verhältnissen übereinstimmt. Denn nach Überzeugung der Kammer war bei Prime Video – jedenfalls außerhalb von Live-Inhalten – das werbefreie Streamen Teil der geschuldeten Leistung. Eine so grundlegende Änderung dürfe Amazon nicht einseitig vornehmen.
Werbefreiheit als zentraler Vertragsbestandteil
Amazon hatte argumentiert, der Vertrag verpflichte nicht zu Werbefreiheit; Prime Video habe bereits zuvor Werbung enthalten, zudem sei Werbung bei einem „rundfunkähnlichen Telemedium“ programmbedingt. Das Gericht folgte dem nicht. Ausschlaggebend war aus seiner Sicht unter anderem die gelebte Praxis und die eigene Kommunikation Amazons: Wer eine „Änderung“ ankündige und parallel eine kostenpflichtige, werbefreie Zusatzoption einführe, dokumentiere selbst, dass es um einen qualitativ anderen Leistungsumfang gehe.
Bemerkenswert ist auch die wirtschaftliche Einordnung durch die Kammer: Die werbefreie Zusatzoption von 2,99 Euro mache – gemessen an der im Urteil erwähnten Prime-Gebühr – einen erheblichen Anteil aus. Das sei ein Hinweis darauf, wie gewichtig die Umstellung für Kunden sei. Werbeunterbrechungen veränderten das Nutzungserlebnis von Filmen und Serien grundsätzlich; das Gericht spricht in diesem Zusammenhang sogar urheberrechtliche Aspekte an, weil Werbepausen den Werkgenuss beeinträchtigen können.
Amazon muss Kunden aktiv „richtigstellen“
Das Urteil belässt es nicht beim Verbot. Amazon wurde zudem verpflichtet, betroffenen Prime-Mitgliedern nach Rechtskraft eine individualisierte Berichtigungs-E-Mail zu schicken – binnen zwei Wochen. Darin muss das Unternehmen nach dem Urteil klarstellen, dass (außer bei Live-Inhalten) Vertragsgegenstand das Streamen ohne Werbeunterbrechungen und ohne Einblendung von Drittwerbung vor Beginn ist, und dass eine Änderung in Richtung Werbung nicht einseitig, sondern nur mit Zustimmung der Kunden möglich ist.
Außerdem muss Amazon 260 Euro Abmahnkosten an den vzbv zahlen; die Prozesskosten trägt ebenfalls der Konzern.
Zum Urteil Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands: „Das ist ein sehr wichtiges Urteil. Es zeigt, dass die zusätzliche Werbung bei Amazon Prime Video nicht ohne Mitwirkung der betroffenen Verbraucher:innen erfolgen durfte. Mitglieder haben nach Ansicht der Verbraucherzentrale weiterhin Anspruch auf die werbefreie Option, und zwar ohne Mehrkosten.“
Signalwirkung für Abo-Modelle
Der Fall dürfte über Prime Video hinaus Bedeutung haben. Viele Plattformen experimentieren mit werbefinanzierten Tarifen und „Plus“-Modellen gegen Aufpreis. Das Münchner Urteil macht deutlich: Sobald ein Anbieter bei einem kostenpflichtigen Abo in ein wesentliches Leistungsmerkmal eingreift – hier die Werbefreiheit –, reicht es nicht, das als bloße Produktpflege oder Programmanpassung zu kommunizieren. Entscheidend ist, was Kunden nach Vertrag und praktischer Ausgestaltung erwarten dürfen – und ob eine Änderung zustimmungsbedürftig ist.
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